Der Vorstand des Arbeitskreises Provenienzforschung e. V. hat die rezenten Äußerungen von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden zur Reform der Beratenden Kommission NS-Raubgut sowie die von der Kommission eingebrachten Forderungen (Memorandum) zur Kenntnis genommen und möchte hiermit eigene strukturelle Überlegungen einbringen.
Der seit 2000 bestehende Arbeitskreis vereint international knapp 500 Expert:innen für die wissenschaftliche Aufarbeitung von Kulturgutentzügen als zentrale Voraussetzung von Rückgaben an die rechtmäßigen Eigentümer:innen. Das Arbeitsspektrum seiner Mitglieder umfasst die Aufklärung von Kulturgutverlusten aufgrund asymmetrischer Machtverhältnisse, darunter NS-verfolgungsbedingter Entzug, Enteignungen in der Sowjetischen Besatzungszone und der Deutschen Demokratischen Republik sowie der Entzug von Kulturgut in kolonialen Kontexten.
Im Koalitionsvertrag 2021–2025 „Mehr Fortschritt wagen“ vereinbarten die regierenden Parteien eine Stärkung der Beratenden Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz. Aus Sicht des Arbeitskreises sind die Reformpläne sehr zu begrüßen, es besteht jedoch über das Memorandum der Beratenden Kommission hinausgehend weiterer Handlungsbedarf hinsichtlich der Strukturen und Verfahren bei der Vorbereitung von Restitutionsentscheidungen.
Die von Bund, Ländern und Kommunen geschaffenen Strukturen haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten zur systematischen Überprüfung von Sammlungsbeständen beigetragen und zahlreiche Restitutionen ermöglicht, in ihrer Zahl weit jenseits der vor der Kommission verhandelten Fälle.
Bedauerlicherweise haben diese Maßnahmen aber nicht zur transparenten Dokumentation und validen Entscheidungsprozessen geführt. Die vielfach zitierten 23 vor der Beratenden Kommission verhandelten strittigen Fälle sind deshalb in keiner Weise repräsentativ für die bisher in diesem Bereich geleistete Arbeit und die Vielzahl an Restitutionen, die auf proaktiver Forschungsarbeit basieren. Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste spricht momentan auf seiner Webseite von knapp 7.500 musealen Objekten sowie knapp 25.000 Bibliotheksgütern und Archivalien, die seit der Washingtoner Konferenz von 1998 restituiert wurden. Die tatsächlichen Zahlen sind indes höher, da es keine Meldepflicht und kein zentrales Register gibt.
Aus diesen Gründen drängen wir wiederholt auf die transparente Kommunikation der erarbeiteten Ergebnisse der Forschung und der erfolgten Restitutionen sowie auf die Umsetzung struktureller Maßnahmen zur Unterstützung und Verstetigung der Provenienzforschung, etwa durch zentrale Einrichtungen für die proaktive und professionelle Erbensuche, für die laufende Qualitätssicherung und permanente Evaluierung der Bewertungskriterien sowie für transparente, überprüfbare Verfahren. Nachhaltige Maßnahmen unterstützen die Träger:innen bei der Wahrnehmung ihrer Verantwortung und bei der Erarbeitung der in den Washingtoner Prinzipien vereinbarten „gerechten und fairen Lösungen“ im Dialog mit Anspruchsteller:innen.
Die Nutzung nachgewiesener Forschungskompetenzen und Expertise beschleunigt die Rückgabeverfahren der kulturgutbewahrenden Institutionen unserer jahrzehntelanger Erfahrung nach deutlich. Daher fordern wir von Bund, Ländern und Kommunen im Umgang mit Verdachtsfällen die Trennung von Forschung, Erkenntnisbewertung und Entscheidung sowie die Einbindung des Arbeitskreises Provenienzforschung e. V. in die Reformüberlegungen zur Rückerstattung von NS-Raubgut.
Reform der Limbach-Kommission für NS-Raubkunst (WDR, 4. September 2023)
Zum Stand der Aufarbeitung von NS-Raubkunstfällen – Meike Hopp im Gespräch (deutschlandfunk, 9. September 2023)