Besonnenheit statt Eskalation: Zur aktuellen Debatte um Provenienzforschung in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen

Die jüngste Debatte über Raubkunst in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen bestätigt, wie emotional aufgeladen und zugespitzt die Themen Provenienzforschung und Restitution in Deutschland verhandelt werden. Eine offene und kritische Auseinandersetzung mit dem Umgang der Museen und ihrer Träger*innen mit NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern und deren Restitutionspraxen ist zweifellos notwendig, richtig und wichtig! Ebenso essenziell ist jedoch auch die Bereitschaft, sich mit den nach wie vor prekären Arbeitsbedingungen, infrastrukturellen Mängeln und methodischen Grundlagen der Provenienzforschung auseinanderzusetzen, um ihre Herausforderungen realistisch bewerten und nachhaltig bewältigen zu können.

Provenienzforschung ist ein langwieriger und komplexer Prozess, der differenzierte Analysen und eine fortlaufende kritische Prüfung der eigenen Einschätzungen erfordert. Das erneut extrem verkürzte Bild in der medialen Berichterstattung trägt jedoch nicht zur Aufklärung bei, sondern befördert Halbwahrheiten oder konstruiert pauschale Anschuldigungen, worauf der Arbeitskreis Provenienzforschung e.V. bereits in der Vergangenheit wiederholt hingewiesen hat. Der zunehmend polemisierende, aggressive oder gar beleidigende Tonfall ist weder einer sachlichen Debatte dienlich, noch fördert er zeitnahe und konstruktive Lösungen der offenen Fragen.

Auch die jüngsten, öffentlich debattierten Vorwürfe verkennen, dass unter den Forschenden längst ein hohes Problembewusstsein besteht. Doch anstatt deren wiederholt vorgetragene Forderungen nach strukturellen Verbesserungen aufzugreifen und sich damit für die nachhaltige und dauerhafte Überwindung bekannter und bestehender Probleme zu einzusetzen, provozieren skandalisierende öffentliche Empörungen reflexartige politische Ad-hoc-Maßnahmen, die – so zeigt die Erfahrung – meist nach wenigen Jahren wieder auslaufen, ohne langfristige Konzepte zu etablieren. Auch der Austausch von Personal wird keine strukturellen Defizite lösen.

Gerade in einer so komplexen und politisch zugleich extrem aufgeladenen Materie ist differenzierter, faktenbasierter Journalismus gefragt – ein Journalismus, der unterschiedliche Perspektiven abbildet und Zusammenhänge erklärt, anstatt zu verkürzen oder sich in Details zu verlieren, der Debatten kritisch und fundiert begleitet, anstatt sie unreflektiert zu eskalieren. Priorisierungen nach Prominenz oder (monetärer) Wertigkeit der betroffenen Objekte sind in diesem Kontext ebenso unangemessen, wie sie der Vielfalt der zu untersuchenden Verfolgungsschicksale nicht gerecht werden.

Die Ergebnisse der Provenienzforschung sind längst kein verborgenes Wissen mehr, das erst durch investigative Recherche ans Licht gebracht werden muss. Doch sie erfordern kontinuierliche Vermittlungsarbeit, interdisziplinäre Kooperationen und gesicherte Ressourcen, um ihren gesellschaftlichen Auftrag nachhaltig erfüllen zu können – im Interesse aller Beteiligten, vor allem aber der Anspruchsberechtigten.

Weitere zentrale Forderungen zur Stärkung und strukturellen Verankerung der Provenienzforschung sind im Berliner Appell formuliert, der die dringend notwendigen inhaltlichen und institutionellen Verbesserungen detailliert skizziert.