AG Koloniale Provenienzen

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Provenienzforschung zu Objekten aus kolonialen Kontexten

Seit einigen Jahren wird der Begriff der Provenienzforschung im deutschsprachigen Raum auch für die Erforschung der Herkunft von Sammlungen und Objekten aus kolonialen Erwerbskontexten verwendet. Die Untersuchung der Verflechtungen zwischen Sammlungsbeständen und europäischem Kolonialismus kann sich auf viele Bereiche beziehen: die Bearbeitung einzelner Objekte und Konvolute und das Aufdecken von Verbindungen zu anderen Objektgruppen und Institutionen, die Erforschung struktureller Zusammenhänge zwischen kolonialer Expansion und der Entstehung einzelner Sammlungen und Museen (inklusive deren Rolle im kolonialen Projekt), das Herausarbeiten unterschiedlicher Bedingungen und Effekte des Sammelns je nach kolonialer Herrschaftspraxis wie auch die Klärung von Fragen der Zugänglichkeit oder der Eigentümerschaft.

Vor allem gehört dazu, die Beziehung zwischen Herkunftsgesellschaften und Museen auf eine neue Basis zu stellen. Dies beinhaltet die Zusammenarbeit mit Individuen, Initiativen und Institutionen der Herkunftsländer und Herkunftsgesellschaften der Objekte: von den direkten Nachkommen ehemaliger Hersteller:innen und Besitzer:nnen, über verschiedene Interessensgruppen oder „communities of practice“ bis hin zu den Nationalmuseen postkolonialer Staaten, die oftmals ebenfalls ethnografische Sammlungen aus der Kolonialzeit beherbergen. Es geht dabei nicht allein um eine Einbeziehung von lokalem Wissen, wie zum Beispiel mündlichen Überlieferungen (oral history), sondern um die Erarbeitung langfristiger Kommunikationsstrukturen und Reflexionsformate sowie gemeinsamer Forschungsagenden, durch die die gemeinsame, aber möglicherweise durchaus kontroverse Produktion von Wissen über diese Sammlungen möglich wird.

Die Arbeitsgruppe

Die Arbeitsgruppe diskutiert zum Beispiel die Entwicklung langfristiger Strategien zur Sammlungsbearbeitung, Möglichkeiten der Priorisierung einzelner Sammlungsbestände wie auch des Zugänglichmachens von Forschungsergebnissen, Vorschläge zur (transnationalen) Vernetzung und Institutionalisierung von Provenienzforschung an Museen und Universitäten.

Bewusst hat die AG beschlossen, den Begriff des „Kolonialen“ weder auf eine bestimmte Zeitspanne noch auf eine bestimmte geografische Region einzuschränken. Zwar stehen ethnografische Sammlungen in den letzten Jahren besonders in der Kritik und bilden damit einen Schwerpunkt der Diskussion und Expertise in der Arbeitsgruppe. Ihre Bestände stellen aber nicht die einzigen Objektgruppen dar, die mit dem kolonialen Projekt im Zusammenhang stehen. Ein weiterer Schwerpunkt der Forschung und der öffentlichen Debatte sind menschliche Gebeine in anthropologischen Sammlungen. Aber auch naturkundliche oder archäologische Sammlungen besitzen Bestände aus kolonialen Erwerbskontexten.

Unter https://www.postcolonial-provenance-research.com/ag-projekte stellt die Arbeitsgruppe eine Übersicht von laufenden und abgeschlossenen Forschungsprojekten postkolonialer Provenienzforschung online. Die Liste wird derzeit aktualisiert und wird auf die Website des AK Provenienzforschung umziehen.

Die Fachgruppen

Die Fachgruppe Missionssammlungen bietet Kolleg:innen, die sich mit Ordens- und Missionssammlungen beschäftigen, eine Möglichkeit zum Austausch. Im Fokus stehen Missionssammlungen im Allgemeinen, Konvolute mit Bezug zu Missions- oder Ordenskontexten in Museen und Fragen der Aneignung von Gegenständen durch Missionar:innen. Die Treffen finden digital und teilweise in Präsenz statt, häufig zudem auf Englisch, da regelmäßig Kolleg:innen aus dem europäischen Ausland teilnehmen. Die Gruppe organisiert thematische Workshops zu zentralen Fragen des Forschungsfeldes.

Ansprechpartner sind Jan Hüsgen und Markus Scholz.

Das deutschsprachige Expert:innen Netzwerk zum Umgang mit menschlichen Überresten ist ein interdisziplinärer Zusammenschluss von Wissenschaftler*innen, die sich in ihrer praktischen oder theoretischen Arbeit mit menschlichen Überresten beschäftigen. Es umfasst Expert*innen u.a. aus den Bereichen der Sozial- und Kulturanthropologie, der biologischer Anthropologie sowie der Geschichts- und Kulturwissenschaften. Ziel der Arbeit ist ein angemessener Umgang mit den sterblichen Überresten von Menschen in Museen und wissenschaftlichen Einrichtungen. Dafür entwickeln die Mitglieder Verfahren und Standards, die in Form von Handreichungen, Empfehlungen und ethischen Richtlinien für Institutionen und politische Entscheidungsträger zur Verfügung stehen. Der Schwerpunkt der Arbeit der Mitglieder liegt auf der postkolonialen Provenienzforschung, um die Grundlage zur Rückgabe menschlicher Überreste aus kolonialen Kontexten zu legen. Das Netzwerk arbeitet darüber hinaus zu institutionellen Fragestellungen wie der Ausstellbarkeit, Dokumentation und Inventarisierung menschlicher Überreste, der Vorbereitung und Durchführung von Repatriierungen oder den Möglichkeiten und Grenzen wissenschaftlicher Forschung an menschlichen Überresten. Hierzu gehört neben der Diskussion von Methoden und Herangehensweisen auch der kontinuierliche internationale Austausch sowohl mit wissenschaftlichen Expert:innen als auch mit Nachfahr:innen der Verstorbenen und mit Vertreter:innen betroffener Communities of Care.
Das Netzwerk existiert seit 2021 und trifft sich in regelmäßigen Abständen.
Ansprechpartner sind Ilja Labischinski und Sarah Fründt.

Innerhalb der AG sind darüber hinaus Fachgruppen mit spezifischer regionaler Expertise und Verbindungen in die jeweilige Region organisiert, insbesondere zu Australien, Tansania und Namibia.

Stellungnahmen zu aktuellen Entwicklungen

2024 hat die AG gemeinsam mit dem Vorstand des AKs eine Stellungnahme bezüglich der Einrichtung der Fonds für die Rückführung von Kulturgütern und menschlicher Gebeine veröffentlicht.

2024 hat das Expert:innen Netzwerk zum Umgang mit menschlichen Überresten eine Stellungnahme zur Etablierung eines Fonds zur Rückführung menschlicher Überreste veröffentlicht.

2023 hat das Expert:innen Netzwerk zum Umgang mit menschlichen Überresten einen Vorschlag zum Umgang mit menschlichen Überresten im Rahmen der Umsetzung der 3-Wege-Strategie veröffentlicht.

Kooperationen

Eine enge personelle und inhaltliche Zusammenarbeit verbindet die AG Koloniale Kontexte mit dem Netzwerk für nachhaltige Forschungsstrukturen zur Bearbeitung von Sammlungen und Beständen aus kolonialen Kontexten. Das Netzwerk beschäftigt sich mit Fragen zur digitalen Zusammenführung, Bearbeitung und Sichtbarkeit sowie zu Nutzungsmöglichkeiten von digitalen Materialien und Daten aus kolonialen Kontexten. Mehr Details sowie Kontaktinformationen unter https://www.evifa.de/de/netzwerk-koloniale-kontexte/netzwerk-koloniale-kontexte

Werde Mitglied

In der AG Koloniale Provenienzen sind all diejenigen willkommen, die sich mit den dargestellten Aspekten praktisch oder theoretisch beschäftigen. Wenn Sie Mitglied der AG Koloniale Provenienzen werden und unserem Verteiler beitreten möchten, schreiben Sie bitte an ag-koloniale-provenienzen@arbeitskreis-provenienzforschung.org. Unter dieser Adresse erreichen Sie das Koordinationsteam Jamie Dau, Lars Müller, Stefanie Schien und Mareike Späth.